Es geschieht im CaféBilderbuch Berlin in der Akazienstraße. Ich schaue auf den schwarzen Flügel, der erhoben auf einer kleinen Bühne im Herzen des Cafés steht und lausche dem virtuosen Pianisten, der sich für die nächste halbe Stunde mit Leib und Seele auf die Tasten konzentriert. Er spielt in einer melancholischen Leichtfüßigkeit, dass es dramatisch auf meine weiblichen Hormone wirkt. Ich trinke also, heimlich schniefend, eine heiße Schokolade mit Sahne auf dem großen grünen Sofasessel, stütze mich mit dem linken Ellenbogen auf die weiche Lehne und fühle mich unbeobachtet als ich beginne etwas zu schunkeln. Der Raum ist ziemlich gut besucht, klirrendes Geschirrgeräusch fügt sich ein, in den abwechselnd lauten Gesprächspegel, der kollektiv unbewusst doch tatsächlich die Dynamik des Klavierspiels begleitet. Und wenn man aufmerksam ist, hört man die Obertöne der Stimmen pfeifen aus den hitzigen Gesprächen, die sich spitzfüßig in die Harmonien der Klaviermelodie einfügen. Und man fragt sich ob irgendjemand gerade singt. Es wird nur dann ganz plötzlich still im Raum wenn auch der Pianist sein Stück beendet- pausiert-wieder einatmet um das nächste Stück zu beginnen. Wie ein Zug, der mit all seinen Passagieren nun ‘mal gemeinsam anhält, weil ER anhält und alle dann wieder mitnimmt wenn er losfährt- natürlich auch wenn die Passagiere dabei selbst schlafen. Der Pianist räuspert sich einmal leise, spreitzt die Finger, macht Fäuste, reibt sich die Hände und berührt dann einige Tasten. Zeitgleich mit seinen ersten zwei Tönen beginnen auch die Cafégäste wieder Geschichten und Anekdoten zu erzählen. Am Tisch neben mir wird wieder gelacht, es raschelt das Zeitungspapier, ein Pärchen in der Ecke streitet sich gequält verdeckt über Kleinigkeiten, „zusammen oder getrennt?“ Fragt die Bedienung. Ich verspreche mir einen Schauplatz zum Geschichtenschreiben und zücke Kugelschreiber und Notizbuch.. schlups schrrrraps.. nunja… und der Musiker spielt fast unsichtbar die kleine Begleitmusik unseres Lebens. Es tut mir schon fast etwas weh- ja, seine Arbeit wird einfach selbstverständlich in den Caféalltag eingebettet- ohne Pardon. Es ist schade, dass irgendwie keiner von uns wirklich zuhört, denke ich und lausche dem letzten Stück aufmerksam. Der mysteriöse Pianist erhebt sich, schließt den Flügel, greift vielleicht heimlich geknickt, jedenfalls noch würdevoll nach seiner schwarzen Jacke, die an einem goldenen Haken hängt, verlässt die Bühne, als wäre er nie da gewesen und verschwindet, an den Kuchen und Torten vorbei, in den frühen Abend hinein. Jetzt wird es ganz still im Raum, so still, dass man die Gabeln nach dem Kuchen greifen hört. Und man wundert sich, man staunt, man horcht, dass irgendetwas anders ist. Es wird unruhig in der Stille. Auch meine heiße Schokolade schmeckt auf einmal ein Mü bitterer als vorher. Einige Menschen fragen intuitiv nach der Rechnung und gehen ohne wirklich zu wissen warum- die letzten Schlücke Kaffee ungetrunken in den Tassen gelassen. Die Bedienung legt etwas panisch eine Roberto Fonseca CD zur Beruhigung der Situation ein und drückt auf Play.
Foto: Steffen Böttcher